Verständnis und Heilung von Trauma: Ein Blick auf die strukturelle Dissoziation
Hast du dich jemals gefragt, wie unser Gehirn mit extrem belastenden Erlebnissen umgeht? Oder warum sich die schlimmen Erfahrungen aus der Vergangenheit Jahre später immer noch so bedrohlich anfühlen? Extreme Situationen un Belastungen über längere Zeiträume hinweg können unser Gehirn dermaßen überfordern, dass dieses nicht mehr in der Lage ist, die Erfahrungen gut ins Langzeitgedächnis zu integrieren. Stattdessen werden die Erlebnisse nur noch bruchstückhaft in das sogenannte Traumagedächtnis "abgeschoben". Dieses Phänomen bezeichnet man als Abspaltung oder Spaltung der Persönlichkeit. In der Traumatherapie arbeiten wir nach dem Modell der strukturellen Dissoziation. Damit lässt sich einerseits erklären wie komplexe Traumata unsere Persönlichkeit beeinflussen. Andererseits bietet dieses Modell vielfältige Ansätze zu Bewältigung, Heilung und Integration.

Was ist strukturelle Dissoziation?
Das Modell der strukturellen Dissoziation wurde von Onno van der Hart, Ellert Nijenhuis und Kathy Steele entwickelt um die Auswirkungen schwerer Traumatas besser zu verstehen und einen Umgang mit den vielfältigen Reaktionsweisen auf Traumatisierung zu entwickeln.
Stell dir vor, deine Persönlichkeit fühlt sich an wie eine Großfamilie, deren Mitglieder nicht mehr an einem Strang ziehen sondern ihre eigenen Interessen verfolgen. Innere Konflikte sind damit vorprogrammiert und führen zu immer weiteren Verletzungen.
Das Modell der strukturellen Dissoziation unterscheidet zwischen einem oder mehreren Alltags-Teilen (ANP) und einem oder mehreren emotionalen Persönlichkeitsanteilen (den EPs). Wie sich die Persönlichkeit aufgrund von Traumatas aufspaltet hängt von vielen Faktoren ab, so z.B. von der Art des Traumas, der Dauer traumatischer Erfahrungen, dem Alter in welchem das Trauma erlebt wurde, die Umgebung in welcher die traumatisierte Person aufgewachsen ist und noch vieles mehr.
Ein unverarbeitetes Monotrauma kann als Spätfolge eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) hervorrufen. Hierbei handelt es sich um eine Aufspaltung in einen ANP und ein EP.
Gab es (besonders in der Kindheit) Mehrfachtraumatisierungen, so spricht man von einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS). Hier fand bereits eine Aufstpaltung in einen ANP und mehrere EPs statt.
Bei einer klassischen Dissoziativen Identitätsstörung (DIS) sowie bei einer partiellen DIS (pDIS), die als Folge von Schwersttraumatisierungen in der Kindheit auftreten können, kann es mehrere ANPs geben, die sich die Alltagsaufgaben aufteilen und mehrere EPs, die die Traumalasten tragen.
Der Alltags-Teil oder der Anscheinend Normale Persönlichkeitsanteil (ANP genannt) versucht, ein möglichst "normales" und funktionales Alltagsleben aufrechtzuerhalten. Dieser Teil ist darauf ausgerichtet, die Aufgaben des täglichen Lebens zu bewältigen, soziale Kontakte zu pflegen, beruflichen oder schulischen Verpflichtungen nachzukommen und sich den Anforderungen der Außenwelt
Wie erkenne ich den ANP?
Der ANP erscheint oft als der "Hauptteil" der Person, der das äußere Bild prägt. Er kann Erinnerungslücken für traumatische Ereignisse aufweisen (dissoziative Amnesie) und Schwierigkeiten haben, die volle Intensität der eigenen traumatischen Geschichte zu akzeptieren oder zu verarbeiten.
Um welche Aufgaben kümmert sich der oder die ANPs?
- Alltagsfunktionen: arbeiten, lernen, Haushaltsführung, Hobbys
- Soziale Interaktionen: Beziehungen pflegen, sich in der Gesellschaft bewegen
- Vermeidung von Trauma-Inhalten: Der ANP ist bestrebt, sich von den traumatischen Erinnerungen, Emotionen und Körperempfindungen fernzuhalten. Er versucht, das Trauma zu verdrängen, zu ignorieren oder zu rationalisieren, um ein Gefühl von Normalität aufrechtzuerhalten.
- Phobien: Oft entwickelt der ANP eine "Phobie vor den traumatischen Erinnerungen" oder eine "Phobie vor den emotionalen Persönlichkeitsanteilen", da der Kontakt mit diesen als bedrohlich für die Aufrechterhaltung der Normalität empfunden wird.
Der Emotionale Persönlichkeitsanteil (EP genannt), trägt die traumatischen Erfahrungen, die damit verbundenen Emotionen, Körperempfindungen und Verhaltensweisen. Bei einer pDIS wie auch einer DIS gibt es immer mehrere EPs, die mit ihrem Erleben in der Zeit des Traumas "eingefroren" oder "steckengeblieben" sind.
Wie erkenne ich die EPs?
EPs können sich in inneren Stimmen, Bildern oder plötzlichen, unkontrollierbaren Impulsen äußern. Sie haben oft ein sehr kindliches Erleben, wenn das Trauma in der Kindheit stattfand. Ihr Verhalten kann von dem des ANP stark abweichen und ist häufig für den ANP nicht nachvollziehbar.
Welche Aufgaben bzw. welche Zwecke erfüllen die EPs?
- Tragen des Traumas: Die EPs halten die "traumatischen Erinnerungen" im Sinne von fragmentierten Sinneswahrnehmungen (Bilder, Worte, Geräusche, Gerüche), intensiven Emotionen (Angst, Panik, Wut, Scham, Hilflosigkeit), Körperempfindungen (Schmerz, Enge, Kälte) und die ursprünglichen Verteidigungsreaktionen (Kampf, Flucht, Erstarrung, Unterwerfung, Bamby-Syndrom, Cry-for-help).
- Fixierung in der Vergangenheit: Oft reagieren die EPs so, als ob das Trauma noch immer stattfindet oder unmittelbar bevorsteht. Auslöser in der Gegenwart (Trigger genannt) können EPs aktivieren. Dies erlebt die Person in Form von Flashbacks, Albtäumen, plötzlichen und intensiven emotionalen Ausbrüchen (Intrusionen) oder automatisierten Verhaltensweisen, die im Heute keinen Sinn ergeben. Wichtig zu wissen ist, dass diese Reaktionen im Kontext des Traumas sinnvoll waren (z.B. sich verstecken, kämpfen, anpassen) und zum Überleben der Person beigetragen haben.
- Phobien: EPs können eine "Phobie vor der Normalität" oder eine "Phobie vor der Integration" entwickeln, da sie befürchten, bei einer Annäherung an den ANP überwältigt zu werden oder ihre spezifische Funktion (das Tragen des Traumas) zu verlieren.
Wie hilft die Therapie dabei?
Die gute Nachricht ist, dass es Wege gibt, diese Spaltungen nach und nach aufzulösen. Die Traumatherapie nach dem Modell der strukturellen Dissoziation folgt einem bewährten, phasenorientierten Ansatz:
- Stabilität und Ressourcenaufbau: Zuerst geht es darum, dich zu stabilisieren, da dies eine wichtige Voraussetzung für die Aufarbeitung von Traumatas ist. Ressourcen liefern dazu einen wertvollen und unverzichtbaren Beitrag.
- Sicherheit im Außen und Innen finden: Fühlst du dich sicher in deinem äußeren Umfeld gibt dir das Kraft dich deinem Innenleben zuzuwenden. In der Traumatherapiie lernst du unterschiedliche Werkzeuge kennen, die dir helfen, mit überwältigenden Gefühlen umzugehen. Es ist wie das Aufstellen eines sicheren Gerüsts, bevor man mit der Reparatur beginnt. Ziel ist es, dass die "Alltags"-Teile und die "Trauma"-Teile lernen, besser miteinander zu kooperieren.
- Arbeit mit dem Inneren: In dieser Phase wenden wir uns den verletzten und vernachlässigten Bereichen deiner Seele zu, erforschen dysfunktionale Schutz-Mechanismen oder Abwehr-Strategien und entwickeln gemeinsam hilfreichere Verhaltensweisen.
- Die Erinnerungen bearbeiten (Traumakonfrontation und Realisation): Wenn du dich stabil genug fühlst, werden die traumatischen Erinnerungen schrittweise und behutsam bearbeitet. Das Ziel ist nicht, das Trauma erneut zu durchleben, sondern die damit verbundenen Gefühle und Empfindungen zu integrieren, damit sie nicht länger dein Leben beherrschen.
- Integration und ein erfülltes Leben: In dieser Phase geht es darum, alle Teile deiner Persönlichkeit zusammenzuführen, sodass du ein kohärentes und vollständigeres Selbstempfinden entwickeln kannst. Du lernst, deine neuen Fähigkeiten im Alltag anzuwenden und ein sinnerfülltes Leben zu gestalten.
Warum ist diese Therapie so wichtig?
Diese spezielle Form der Traumatherapie ermöglicht es Menschen, die oft jahrelang unter den Folgen von Trauma leiden, endlich Heilung zu finden. Sie hilft dabei, die inneren Konflikte zu verstehen und zu lösen, die durch die Spaltung der Persönlichkeit entstanden sind. Es ist ein Weg, die "Mitglieder" und "Mitstreiter" in deinem inneren (Familien-)System miteinander in Einklang zu bringen, Frieden im Inneren zu erleben und eine Perspektive für die Zukunft zu entwickeln.
Wenn du das Gefühl hast, dass dieses Thema dich betrifft oder du jemanden kennst, dem es helfen könnte, scheu dich nicht, professionelle Hilfe in unserer Praxis, die sich darauf spezialisiert hat, in Anspruch zu nehmen oder uns weiterzuempfehlen. Heilung ist möglich und zwar für jeden von uns.
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Fühlst du dich oft einsam und allein gelassen? Hast du den Eindruck, dass Menschen dich nicht sehen oder sich sogar von dir abwenden? Taumatische Erfahrungen aus der frühen Kindheit können oft tiefe Gefühle von Einsamkeit auslösen. Und diese chronische Einsamkeit breitet sich im Erwachsenenleben oft aus wie ein unsichtbarer Virus.

Trauma ist eine tiefgreifende Erfahrung, die das Leben von Betroffenen von Grund auf erschüttern kann. Folgen von Traumatas können der Verlust von Sicherheit und Vertrauen sein. Manchmal wird sogar die eigene Identität beschädigt oder sogar zerstört. Der Weg zur Heilung ist lang und oft schmerzhaft, doch viele Menschen finden in dieser Dunkelheit eine unerwartete, jedoch kraftvolle Ressource im christlichen Glauben und in der persönlichen Beziehung zu einem lebendigen Gott.

Man könnte sagen, sich mit sich selbst zu versöhnen, ist eine Form der inneren Friedensarbeit. Menschen, die Traumafolgen tragen, neigen manchmal zu Selbstanklage, Verurteilung oder Selbst-Ablehnung. Damit machen sie sich zum "Objekt" ihrer negativen Gefühle und werden zum Täter an sich selbst. Erkenne die Wurzeln und erlaube dir, eine liebevolle Verbindung zu deinem Inneren wiederherzustellen.