Schluss mit dem inneren Richter: Wie du durch Selbstversöhnung deine Würde zurückeroberst
Man könnte sagen, sich mit sich selbst zu versöhnen, ist eine Form der inneren Friedensarbeit. Menschen, die Traumafolgen tragen, neigen manchmal zu Selbstanklage, Verurteilung oder Selbst-Ablehnung. Damit machen sie sich zum "Objekt" ihrer negativen Gefühle und werden zum Täter an sich selbst. Erkenne die Wurzeln und erlaube dir, eine liebevolle Verbindung zu deinem Inneren wiederherzustellen.

Stell dir vor, ein Teil von dir hat etwas getan, was du heute vielleicht als "toxisch", "schwierig" oder "falsch" empfindest. Vielleicht gibst du dir selbst die Schuld für Dinge, die passiert sind. Oder du schämst dich für deine Reaktionen, Gefühle und Verhaltensweisen. Diese Schuld- und Schamgefühle sind oft zutiefst mit Trauma verbunden und können dich daran hindern, dich mit dir selbst zu versöhnen und inneren Frieden zu finden.
Was ist Selbstversöhnung im Kontext von Trauma?
Bei der "Selbstversöhnung" steht nicht die "Vergebung von eigener Schuld" im Vordergrund. Manchmal bleiben Menschen in der Selbstanklage stecken. Aufgrund des erfahrenen Unrechts lehnen sie sich selbst zutiefst ab. Das kann sogar bis zum Selbsthass reichen. Fehlende "Selbstversöhnung" verhindert damit jegliche "Selbstannahme". Diese ist jedoch Voraussetzung für eine heilsame und gesunde Entwicklung.
- Es geht nicht um Schuld: Wenn du Trauma erlebt hast, besonders als Kind, konntest du oft nicht anders handeln, als du es getan hast. Es waren Überlebensstrategien, die dich geschützt haben. Du trägst keine Schuld dafür, dass dir Gewalt widerfahren ist oder du nicht geschützt wurdest.
- Es geht um Akzeptanz und Verständnis: Es kann herausfordernd sein, anzuerkennen und zu verstehen, warum du in der Vergangenheit bestimmte Verhaltensmuster oder Anpassungsstrategien entwickelt hast. Diese haben dir damals das Überleben gesichert, auch wenn sie dir heute vielleicht sogar schaden.
Warum fällt es trotzdem schwer, mir selbst zu vergeben, auch wenn Gott mir bereits vergeben hat?
Wenn du keine Schuld auf dich geladen hast muss Gott dir auch nichts vergeben!
Im Kontext von erlittenem Unrecht, Übergriffen, Missbrauch oder Vernachlässigung warst du das Opfer und nicht der Täter. Es gibt absolut nichts, wofür Gott dir vergeben müsste.
Als Erwachsener trägst du jedoch die Verantwortung für deine Denk- und Verhaltensweisen. Bleibst du in Selbstanklage, Vorwürfen und Schuldgefühlen stecken, wirst du schuldig an dir selbst. Lehnst du dich selbst ab oder hasst du dich sogar, machst du dich damit vor Gott und vor dir selbst schuldig. Dann ist es heilsam, Vergebung zu empfangen, dir selbst zu vergeben und dich aus jeglicher Anklage zu entlassen. Wichtig ist hier auch die Unterscheidung von Schuldgefühlen zu echter Schuld sowie der Umgang mit Scham. Scham und Schuldgefühle können sehr hartnäckige Begleiter sein und dir den Weg zu Heilung und Wiederherstellung versperren.
Warum ist das so:
- Trauma sitzt im Körper und im Nervensystem:
- Traumatische Erfahrungen sind nicht nur im Kopf, sondern im ganzen Körper und Nervensystem gespeichert.
- Dein Nervensystem kann weiterhin auf alte Bedrohungen reagieren, auch wenn du intellektuell weißt, dass du in Sicherheit bist.
- Beispiel: Du weißt, dass Gott dich liebt und dir vergeben hat. Trotzdem reagiert dein Körper mit starker Anspannung oder Rückzug in bestimmten Situationen, weil alte Überlebensstrategien aktiv werden, die dich damals schützten.
- Tiefsitzende Selbstverurteilung und Scham:
- Menschen mit Trauma-Erfahrungen neigen dazu, sich selbst zu verurteilen und zu glauben, "nicht gut genug" zu sein. Eine tiefe Scham legt sich über das erfahrene Unrecht.
- Scham und Schuldgefühle sind sehr starke, oft unbewusste Empfindungen, die mit dem Gefühl verbunden sind, nicht dazuzugehören oder "falsch" zu sein. Sie können dich daran hindern, dir selbst gegenüber wohlwollend zu sein, auch wenn du Vergebung empfangen hast.
- Beispiel: Obwohl du überzeugt bist, dass Gott dir vergeben hat oder dir gar nicht vergeben muss, kritisierst du dich weiterhin für deine damaligen Reaktionen (z.B. Anpassung, nicht "Nein" sagen), weil du sie als "Fehler" interpretierst. Die Scham darüber hält dich im Griff und lässt dich glauben, dass du nicht wertvoll bist und das, was du getan oder nicht getan hast, unverzeihlich ist.
- Überlebensstrategien sind tief verankert:
- Viele Verhaltensweisen, die du heute als störend empfindest (z.B. Perfektionismus, Harmoniesucht, Rückzug), waren in traumatischen Situationen Überlebensstrategien. Sie waren einmal notwendig, um zu überleben.
- Diese Muster sind tief in dein Gehirn eingeprägt und werden oft automatisch aktiviert, besonders unter Stress.
- Beispiel: Du hast gelernt, immer nett und gefällig zu sein, um Liebe zu bekommen oder Bestrafung zu vermeiden. Obwohl du dich heute anders verhalten möchtest, gelingt es dir nicht wirklich, da dein Gehirn immer noch auf die altbewährten Muster zurückgreifen möchte.
- Es ist keine Frage von Schuld, sondern von Verarbeitung:
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- Bei Trauma-Folgen geht es selten um Schuld im moralischen oder geistlichen Sinne, besonders wenn du als Kind betroffen warst. Es geht darum, dass die damaligen schlimmen Erfahrungen nicht verarbeitet werden konnten.
- Selbst-Vergebung und "Versöhnung mit sich selbst" sind wichtige Voraussetzungen zu Selbst-Annahme und innerem Frieden.
Warum ist Versöhnung mit sich selbst so wichtig?
Das Thema ist deshalb so entscheidend, weil es dir hilft, aus schmerzhaften inneren Kreisläufen auszubrechen:
- Ende der Selbstverurteilung: Viele Menschen mit Trauma-Folgen geraten in einen Strudel aus Selbstanklage, Selbstabwertung oder dem Gefühl, nicht gut genug zu sein. Wenn du verstehst, dass deine damaligen Reaktionen Schutz waren und keine "Fehler", kannst du diesen Kreislauf stoppen.
- Beispiel: Stell dir vor, du machst dir ständig Vorwürfe, weil du dich früher immer angepasst hast und nie "Nein" sagen konntest. Statt dich dafür zu verurteilen ("Ich bin so dumm, warum habe ich das zugelassen?"), erkennst du an: "Ich musste mich anpassen, um zu überleben oder dazuzugehören. Das war damals meine beste Strategie. Heute kann ich lernen, besser für mich und meine Bedürfnisse einzutreten."
- Innerer Frieden und Heilung: Wenn du aufhörst, gegen dich selbst zu kämpfen und das anzunehmen, was ist, entsteht innerer Frieden. Das ist die Basis für tiefe Heilung und Selbstannahme.
- Wahrnehmung von Wahlmöglichkeiten: Durch dieses Verständnis erkennst du, dass du heute als Erwachsener eine Vielzahl von Wahl- und Handlungsmöglichkeiten hast, die dir früher nicht zur Verfügung standen.
Um was geht es dabei?
Es geht im Kern darum, eine neue Haltung zu dir selbst und zu deiner Geschichte zu entwickeln.
- Wohlwollende Haltung: Eine liebevolle, wohlwollende und nicht-urteilende Haltung dir selbst gegenüber ist der Schlüssel. Stell dir vor, du würdest mit einem guten Freund sprechen, der das gleiche erlebt hat. Wärst du da nicht voller Verständnis und Anteilnahme?
- Verstehen statt Wegmachen: So sehr du dir das wünscht, du kannst Trauma-Folgen nicht einfach "wegmachen" oder "loswerden", denn sie sind ein Teil von dir und deiner Lebensgeschichte. Stattdessen geht es darum, sie zu verstehen, anzunehmen und in dein Leben zu integrieren, damit sie weniger belastend wirken.
- Erkennen des Sinns: Jedes Muster, jede Überlebensstrategie hatte ursprünglich einen guten Grund oder diente einem wichtigen Zweck, auch wenn es heute destruktiv wirken mag. Es ging immer ums Überleben.
Wie kann das praktisch aussehen?
Die Umsetzung ist ein Prozess, der Zeit und Geduld braucht. Hier ein paar praktische Schritte:
- Selbstreflexion und Bewusstsein: Beginne damit, dich selbst neugierig zu beobachten und zu reflektieren, wann bestimmte Muster oder Gefühle auftauchen.
- Beispiel: Du reagierst in einer Beziehung immer wieder mit Wut oder Rückzug, obwohl du das gar nicht möchtest. Frage dich: "Was wird in mir gerade ausgelöst? Ist das die alte Angst vor Ablehnung oder Verlassenheit?" Wenn du den "Trigger" (Auslöser) erkennst, kannst du lernen, diesen zu "entschärfen".
- Die Anteile-Perspektive: Betrachte deine inneren Reaktionen und Verhaltensweisen als Handlungen von inneren Anteilen oder "Kind-Ich-Versionen", die in der Vergangenheit gelernt haben, dich zu schützen.
- Beispiel: Du hast vielleicht eine innere Stimme, die dich ständig kritisiert ("Das schaffst du nie", "Du bist nicht gut genug"). Statt dich von dieser Stimme fertigmachen zu lassen, kannst du dich fragen: "Woher kenne ich diese Stimme von früher?" und entdecken, dass dieser "innere Richter" dich damals vielleicht vor weiteren Verletzungen schützen wollte.
- Wahrnehmen und Anerkennen: Schenke den Gefühlen, die hochkommen – auch den unangenehmen wie Scham, Hilflosigkeit oder Wut – Raum und nimm sie an. Sie sind keine Feinde, sondern zeigen dir, wo noch Arbeit zu tun ist.
- Beispiel: Wenn du Selbst-Ekel empfindest, erkenne an, dass dies eine alte Schutzreaktion ist, die ursprünglich wertvoll war, aber heute fehlgeleitet ist. Frage dich, wie viel davon ins Hier und Jetzt gehört und wie viel aus der Vergangenheit stammt.
- Sicherheit schaffen: Das Erlernen von Selbstregulation und das Gefühl von Sicherheit im Hier und Jetzt sind grundlegend. Das kann durch gezielte Übungen geschehen oder durch ein unterstützendes Umfeld.
- Beispiel: Wenn dein Nervensystem dysreguliert ist und du dich überfordert fühlst, versuche, dich im Hier und Jetzt zu verankern. Das kann so einfach sein wie den Boden unter den Füßen zu spüren oder bewusst zu atmen. Manchmal hilft auch die "Co-Regulation", das heißt, du suchst Unterstützung bei einem Menschen, bei dem du dich sicher fühlst.
- Zuspruch von Vergebung und Entlassung aus der Selbstanklage: Manchmal brauchst nicht du, sondern dein innerer Richter Vergebung. Dieser möchte verhindern, dass sich das traumatisierende Geschehen wiederholt und versucht, dich durch seine Verurteilung sozusagen zu schützen.
- Beispiel: Beispiel: Dein innerer Richter könnte dir immer wieder vor Augen führen, dass du es nicht verdienst, geliebt zu werden. Diese Strategie soll dich vermeintlich vor weiterer Ablehnung schützen. Leider verhindert sie damit auch, Gottes Liebe zu empfangen und zu verstehen, dass auch du liebenswürdig bist.
- Professionelle Unterstützung: Bei tiefen Traumatisierungen ist es oft unerlässlich, fachliche und traumasensible Unterstützung zu suchen. Ein guter Begleiter kann dir helfen, in einem sicheren Rahmen diese Prozesse behutsam anzugehen.
- Beispiel: Wenn du merkst, dass du immer wieder in dieselben destruktiven Anklagemuster gerätst, kann ein Traumatherapeut mit dir Exitstrategien erarbeiten.
Es ist ein mutiger Weg aus der Selbstanklage auszusteigen. Gib dir die Chance, dich wieder mit dir selbst zu versöhnen und inneren Frieden zu finden.
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