Depression: Kein Fehler deines Seins, sondern ein lauter Ruf deines Nervensystems nach Sicherheit

Aus einer traumasensiblen Perspektive sind Depressionen oft nicht nur eine Stoffwechselerkrankung im Gehirn, sondern ein Ausdruck von tiefer innerer Dysregulation. Das bedeutet, dein Nervensystem ist aus dem Gleichgewicht geraten. Es handelt sich dabei häufig um eine erlernte Schutzstrategie deines Gehirns, die dir in deiner Kindheit geholfen hat mit überwältigenden Gefühlen oder chronischem Stress umzugehen und damit dein "Überleben" zu sichern.

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Woher kommen Depressionen?

Depression ist eine komplexe Erkrankung, die selten eine einzige Ursache hat, sondern meist aus einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren entsteht. Man spricht hierbei von einem multifaktoriellen Geschehen, das biologische, psychologische und soziale Aspekte umfasst.

Biologische Faktoren

  • Genetische Veranlagung: Es gibt eine familiäre Häufung von Depressionen. Wenn nahe Verwandte betroffen sind, ist das eigene Risiko erhöht. Allerdings wird nicht die Depression direkt vererbt, sondern eine höhere Anfälligkeit dafür.
  • Neurobiologische Veränderungen: Bei einer Depression kann das Gleichgewicht bestimmter Botenstoffe im Gehirn (Neurotransmitter) wie Serotonin, Dopamin und Noradrenalin gestört sein. Diese Botenstoffe sind für die Signalübertragung zwischen Nervenzellen zuständig und beeinflussen Stimmung, Gefühle und Gedanken. Auch andere Signalsysteme und die Neuroplastizität (Anpassungsfähigkeit des Gehirns) spielen eine Rolle.
  • Hormonelle Veränderungen: Schwankungen im Hormonhaushalt können eine Rolle spielen, zum Beispiel im Wochenbett (postpartale Depression), in den Wechseljahren oder bei bestimmten Schilddrüsenerkrankungen.
  • Körperliche Erkrankungen: Viele chronische oder schwere körperliche Erkrankungen können das Risiko für eine Depression erhöhen oder diese sogar auslösen. Dazu gehören Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes, Schilddrüsenerkrankungen sowie neurologische Erkrankungen wie Schlaganfall oder Parkinson, Infektionen und chronische Schmerzen.
  • Medikamente und Substanzen: Bestimmte Medikamente oder der Missbrauch von Alkohol und Drogen können depressive Symptome verursachen oder verstärken.
  • Schlafstörungen: Chronische Schlafprobleme können sowohl ein Symptom als auch ein Risikofaktor für Depressionen sein.

Psychologische Faktoren

  • Belastende Lebensereignisse: Traumatische Erlebnisse wie der Verlust eines geliebten Menschen, schwere Unfälle, Missbrauch oder Vernachlässigung können tiefe emotionale Narben hinterlassen und eine Depression begünstigen.
  • Anhaltender Stress und Überforderung: Chronischer Stress, beispielsweise am Arbeitsplatz (Burnout), in der Familie oder durch finanzielle Probleme, kann das Fass zum Überlaufen bringen und zur Entwicklung einer Depression beitragen.
  • Denkmuster und Schemata: Ungünstige oder negative Denkmuster, wie Perfektionismus, geringes Selbstwertgefühl, Pessimismus oder erlernte Hilflosigkeit, können eine Depression begünstigen und aufrechterhalten. Dabei werden negative Ereignisse oft als dauerhaft und persönlich wahrgenommen.
  • Begleitende psychische Erkrankungen: Depressionen treten häufig zusammen mit anderen psychischen Erkrankungen auf, wie Angststörungen, Suchterkrankungen, Essstörungen oder Persönlichkeitsstörungen.

Soziale Faktoren

  • Soziale Isolation und mangelnde Unterstützung: Einsamkeit, fehlende soziale Kontakte und das Fehlen eines unterstützenden sozialen Umfelds können das Gefühl von Hoffnungslosigkeit und Wertlosigkeit verstärken.
  • Probleme im sozialen Umfeld: Konflikte in Partnerschaft oder Familie, Mobbing oder mangelnde Anerkennung können das Risiko für eine Depression erhöhen.
  • Wirtschaftliche Schwierigkeiten: Armut, Arbeitslosigkeit oder finanzielle Belastungen können erheblichen Stress verursachen und die psychische Gesundheit beeinträchtigen.
  • Veränderungen der Lebensweise: Größere Lebensumbrüche wie Umzug, Pensionierung oder der Verlust des Arbeitsplatzes können eine depressive Phase auslösen.
  • Lichtmangel: Insbesondere in den dunkleren Herbst- und Wintermonaten kann Lichtmangel zu saisonalen Depressionen beitragen.

Was können Ursachen aus der Kindheit sein?

Hier sind einige Hauptursachen aus der Kindheit, die zu Depressionen führen können:

  1. Erlernte Hilflosigkeit: Das ist ein ganz zentraler Punkt. Stell dir vor, ein Kind wächst in einer Umgebung auf, in der es immer wieder das Gefühl hat, nichts an seiner Situation ändern zu können, egal was es versucht. Es erlebt chronische Ohnmacht und Hilflosigkeit.
    • Beispiel: Ein Kind, dessen weinen oder schreien nie gehört wird, oder das immer wieder erlebt, dass seine Bedürfnisse nicht erfüllt werden, lernt, dass es machtlos ist und nichts bewirken kann. Später als Erwachsener kann sich das so anfühlen, als sei man jeder Autorität unterworfen oder habe keine Selbstwirksamkeit im eigenen Leben. Man glaubt dann vielleicht: "Es hat doch ohnehin alles keinen Sinn".
  1. Verlassenheit und fehlende Koorregulation: Wenn ein Kind in seiner Not allein gelassen wird und keine sogenannte "Koorregulation" erfährt – das heißt, keine Bezugsperson hilft ihm, seine starken Gefühle zu regulieren und zu beruhigen – dann können sich tiefe Gefühle von Einsamkeit und ungesehenem Schmerz entwickeln. Das liegt sehr nah an depressiven Symptomen.
    • Beispiel: Ein Kind, das trauert, weil es einen Verlust erlebt hat (z.B. durch Trennung der Eltern, Scheidung), und dessen Trauer nicht begleitet wird, muss diesen Schmerz wegdrücken oder fühlt sich zutiefst allein gelassen. Dies kann im Erwachsenenalter zu chronischer Traurigkeit oder dem Gefühl von Einsamkeit führen, die schwer zu bewältigen sind.
  1. Vernachlässigung: Dies gilt als eine sehr tiefgreifende Form der Gewalt, weil sie oft unsichtbar ist, aber gravierende Folgen hat. Vernachlässigung kann emotional, physisch, kognitiv oder sozial sein und bedeutet, dass grundlegende kindliche Bedürfnisse (nach Zuwendung, Sicherheit, Nahrung, Hygiene, geistiger Anregung oder sozialen Kontakten) chronisch nicht erfüllt werden. Dies führt zu dauerhaftem Stress für das kindliche Nervensystem.
    • Beispiel: Ein Kind, das emotional vernachlässigt wird, weil die Eltern selbst überfordert oder depressiv sind, lernt, dass seine Gefühle und Bedürfnisse nicht wichtig sind. Es fühlt sich vielleicht "nicht existent". Das kann dazu führen, dass man als Erwachsener Schwierigkeiten hat, eigene Gefühle zu regulieren, oder ein geringes Selbstwertgefühl entwickelt.
  1. Anpassungsstrategien und Verwechslung mit der Persönlichkeit: Wenn Kinder chronischem Stress ausgesetzt sind (z.B. in unberechenbaren Familienumfeldern, bei narzisstischen Eltern oder durch Überforderung mit früh übertragener Verantwortung wie Parentifizierung), entwickeln sie Überlebensstrategien. Diese Strategien, die damals zum Überleben notwendig waren, werden oft so sehr verinnerlicht, dass sie später als Teil der eigenen Persönlichkeit wahrgenommen werden.
    • Beispiel: Ein Kind, das lernt, seine eigenen Bedürfnisse und Impulse zu unterdrücken, um Bestrafung, Ablehnung oder Liebesentzug zu vermeiden, kann später Schwierigkeiten haben, seine eigenen Gefühle wahrzunehmen. Es wird vielleicht sehr angepasst und harmoniebedürftig. Oder ein Kind lernt, perfekt zu sein, um Liebe zu bekommen. Später entwickelt diese Person einen hohen Leistungsanspruch an sich selbst und kann nicht loslassen. Diese Verhaltensweisen können zu chronischer Überlastung und dem Gefühl führen, nie genug zu sein oder nicht wirklich "zu sein".

Wie kann ich dagegen vorgehen? Was hilft?

Der Weg aus depressiven Zuständen, besonders wenn sie auf Kindheitstrauma zurückzuführen sind, ist ein Prozess, der Geduld und Unterstützung braucht. Es geht darum, alte Überlebensstrategien zu verstehen und neue, heilsame Erfahrungen zu machen. Zuallererst sollte eine gründliche ärztliche Abklärung eines möglichen Ungleichgewichts im Hormonhaushalt und der Botenstoffe im Gehirn stattfinden. Darüberhinaus:

  1. Professionelle Therapie suchen: Dies ist der wichtigste Schritt, besonders wenn die Depression chronisch ist oder mit schweren Kindheitserfahrungen zusammenhängt. Ein guter Therapeut schafft einen sicheren Raum und hilft dir:
    • Die "ungeliebten Gefühle" zuzulassen: Oft geht es darum, die unterdrückten Emotionen wie Trauer, Wut, Angst, Scham oder Schuld, die damals keinen Platz hatten, Schritt für Schritt wahrzunehmen und zu integrieren.
      • Beispiel: Wenn du immer gelernt hast, stark zu sein und Tränen zu unterdrücken, kann ein Therapeut dir helfen, einen sicheren Raum zu finden, in dem du deine Traurigkeit endlich spüren und ausdrücken darfst, frei von Angst vor Ablehnung oder Bestrafung.
    • Dein Nervensystem regulieren: Das bedeutet zu lernen, wie du mit innerer Anspannung und Überforderung umgehen kannst, indem du dich wieder mit deinem Körper verbindest und beruhigende Strategien anwendest.
      • Beispiel: Atemübungen oder das bewusste Spüren deiner Füße auf dem Boden (Erdung/Grounding) können dir helfen, im Hier und Jetzt anzukommen, wenn du dich überfordert oder ängstlich fühlst.
    • Alte Muster und Überzeugungen verstehen und verwandeln: Du lernst, dass deine heutigen Symptome oft logische Reaktionen auf unnormale Erfahrungen in deiner Kindheit waren. Das Verständnis dafür kann Scham abbauen und den Weg für ein neues Selbstbild ebnen.
      • Beispiel: Wenn du den Glaubenssatz "Ich bin nichts wert" verinnerlicht hast, hilft dir der Therapeut, seine Ursprünge zu erkennen (z.B. durch abwertende Botschaften in der Kindheit) und neue Erfahrungen zu sammeln, die diesem Glaubenssatz widersprechen.
  2. Korrigierende Erfahrungen machen: Dein Nervensystem braucht neue, positive Erfahrungen, die sich von den alten traumatischen Erfahrungen unterscheiden, um neue neuronale Bahnen zu bilden und zu lernen, dass die Welt sicherer ist.
    • Beispiel: Wenn du als Kind immer Angst vor Ablehnung hattest, kann es eine korrigierende Erfahrung sein, in einer sicheren Beziehung zum ersten Mal ein klares "Nein" zu äußern und zu erleben, dass die Beziehung trotzdem bestehen bleibt.
  3. Sichere und nährende Beziehungen aufbauen: Sichere Bindungen sind ein wichtiger Schutz- und Heilungsfaktor. Das bedeutet, sich bewusst mit Menschen zu umgeben, die dir guttun, dich sehen und dich unterstützen.
    • Beispiel: Wenn du merkst, dass bestimmte Kontakte dir immer wieder Energie rauben oder alte Ängste triggern, kannst du lernen, dich abzugrenzen und stattdessen Zeit mit Menschen zu verbringen, bei denen du dich sicher und wohl fühlst.
  4. Selbstfürsorge und Selbstmitgefühl praktizieren: Lerne, wohlwollend mit dir selbst umzugehen und deine Bedürfnisse ernst zu nehmen. Deine Überlebensstrategien waren einst hilfreich und verdienen Anerkennung, nicht Abwertung.
    • Beispiel: Du neigst dazu dich immer wieder rechtfertigen zu "müssen". Erkenne an, dass dies deine alte Schutzstrategie ist um dich nicht immer wieder schuldig zu fühlen. Halte einen Moment inne, erlaube dir zur Ruhe zu kommen und prüfe, ob du denn überhaupt angeklagt wurdest oder ob du dich "wirklich" schuldig gemacht hast. 
  5. Kleine Schritte gehen und nicht aufgeben: Heilung ist ein Weg, keine einmalige Lösung. Es kann Rückschritte geben, die allerdings häufig Wachstumskrisen sind und zeigen, dass etwas in Bewegung kommt.
    • Beispiel: Anstatt zu versuchen, deine gesamte Depression auf einmal zu überwinden, setze dir kleine, erreichbare Ziele, die dein Gefühl der Selbstwirksamkeit stärken. Jede kleine gelungene Abgrenzung, jedes bewusste Ja zu dir selbst ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Du bist nicht deine Depression, sondern ein Mensch mit Kraft und unentfalteten Potenzialen. Dein Weg zu einem freudvollen und erfüllten Leben wartet auf dich. Lass dich dabei von einer kompetenten Fachperson begleiten, du musst diesen Weg nicht alleine gehen.

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